Auf der Straße, in Schulen und Altersheimen erzählen drei Mönche aus Nordindien von Buddha. Sie finden neue Freunde. Manches kommt ihnen auch sehr fremd vor.

Geduldig lächelt Jamyang Babu in die Kamera. Zwei junge Frauen aus Weimar lassen sich mit ihm fotografieren. Die Touristinnen sind auf den Dresdner Neumarkt gekommen, um die Frauenkirche zu besuchen. Im Gewimmel entdecken sie den 72-jährigen Mönch und seine beiden Klosterschüler. In ihren roten Kutten sind die Buddhisten aus dem Himalaya binnen Minuten zur Attraktion geworden. Andere Touristen werden aufmerksam, zücken ihre Kameras. Auch sie bekommen ein Lächeln. Die Mönche falten die Hände zur traditionellen Dankesgeste.

Jamyang Babu und seine Begleiter haben sich daran gewöhnt, im Mittelpunkt zu stehen. Seit Mitte März sind die Mönche aus der nordindischen Region Ladakh in Sachsen unterwegs, auf einer Tour, bei der es vor allem um Begegnungen geht. Mit Schülern, Senioren in Pflegeheimen und Menschen auf der Straße.

Jamyang Babu hat seine Pelzmütze aufgesetzt. Obwohl er aus dem Himalaya kommt, einer der unwirtlichsten Gegenden der Welt, in der eisige Temperaturen normal sind, ist ihm in seinem Baumwollgewand ein bisschen kalt. Das Blitzlichtgewitter hat sich verzogen. Gemessenen Schrittes geht er zur Frauenkirche. Der Mann hat sein Leben der Religion gewidmet, dem Dienen Buddhas, den Nöten der Menschen in seiner Umgebung. Er ist ein Lama, ein spiritueller Lehrer. Jetzt will er das Gotteshaus der Christen kennenlernen. Nie zuvor hat er einen solchen Dom betreten. Er betrachtet den Altar, bevor er sich auf eine der Bänke setzt. Seine Schüler Stanzin Gyatso und Chamba Phontsok erkunden inzwischen die Kirche. Auch für sie ist es das erste Mal, dass sie ihre Heimat verlassen haben. Ein seltenes Glück für Mönche, die gemäß ihrem Glauben auf weltliche Annehmlichkeiten wie Besitz verzichten und mit einem einzigen Gewand auskommen müssen. Ein Tourist hat sie nach Sachsen gebracht.

Es ist der Sommer 2007, als Sven Perski aus Jahnishausen bei Riesa das erste Mal nach Indien reist. Im ladakhischen Kloster Thiksey, rund 3 500 Meter über dem Meeresspiegel, trifft der heute 48-Jährige auf Jamyang Babu und ist beeindruckt von der Würde des charismatischen Mönches. Perski will den Mann fotografieren. „Er hat nur gelächelt und gesagt: kein Problem“, erinnert er sich. Eine Freundschaft beginnt. Der Lama ist angetan vom Interesse des Deutschen, bringt ihm Klein-Tibet nahe, wie Ladakh auch genannt wird. Die Region ist der letzte Hort ursprünglicher tibetischer Kultur, seit das Kernland 1959 von der Volksrepublik China besetzt wurde. Immer wieder kehrt Perski in den Folgejahren nach Thiksey zurück. Er darf im Kloster übernachten und reist mit Jamyang Babu durch die Region. Schließlich lädt er den Mönch zum Gegenbesuch ein.

Aber der Lama will wegen seines hohen Alters nicht allein kommen. Auch weil er nicht so gut Englisch spricht, sollen zwei Schüler mit. Das ist zunächst ein Problem. Pro Mönch müssen gegenüber der Ausländerbehörde 1400 Euro Einkommen nachgewiesen werden und eine Krankenversicherung, sonst gibt es kein Visum. Allein kann Perski das nicht finanzieren. Er sucht Sponsoren, Freunde unterstützen ihn. Vor allem in Schulen trifft Perski auf Interesse. Eifrig sammeln Schüler Spenden. Allein in der Anne-Frank-Oberschule in Stauchitz kommen knapp 800 Euro zusammen. Als Dank soll es einen Tag der Begegnung mit den weit gereisten Lamas geben.

Stauchitz, erste Aprilwoche. Wie Farbtupfer nach dem Winter leuchten die roten Gewänder der Mönche in der Morgensonne. Wochenlang haben sich die Schüler auf den Besuch vorbereitet, Kultur und Geschichte der nordindischen Region Ladakh studiert. Die Gäste sollen sich wie zu Hause fühlen. Sie werden in ihrem Heimatdialekt begrüßt: „Julley, Julley.“ Jamyang Babu lächelt. Schulleiterin Doris Alfert bekommt einen weißen Schal um den Hals gehängt. Ein segnender Gruß unter Freunden. Die Mönche wollen keine Distanz zwischen den beiden Welten aufkommen lassen. Zehntklässler zeigen ihnen das Gebäude, Schüler singen auf Englisch: „Wir sind alle Kinder dieser Welt.“ Für einen Moment scheint kein friedlicherer Ort vorstellbar. Ein Frühstück ist vorbereitet, frisches Gemüse, Marmeladenbrote und eine Schüssel für jeden Mönch mit seinem Namen. „Wir hoffen, ihr fühlt euch wohl und vergesst uns nicht“, steht auf einer kleinen Papierrolle. Novize Stanzin Gyatso ist gerührt von so viel Zuneigung. Dabei kennt man sich noch gar nicht.

Langsam tauen die Schüler ein bisschen auf. Sie wollen wissen, was es bedeutet, als buddhistischer Mönch zu leben. Muss man den ganzen Tag im Kloster sein? Der 24-jährige Stanzin Gyatso erzählt von der täglichen Routine, die eisern einzuhalten ist. Dass sie um fünf Uhr aufstehen, erst allein in ihrer Klause beten, später in der großen Versammlungshalle. 85 Mönche sind es, der älteste 92, der jüngste drei Jahre alt. Dass sie jeden Tag die heiligen Bücher studieren, danach ausschwärmen und in umliegende Dörfer gehen, um Häuser zu segnen oder Trost zu spenden, wenn Menschen ihre Angehörigen verlieren. Dass es normal ist, dass fast jede Familie einen Jungen ins Kloster schickt.

Stanzin Gyatso trägt die rote Kutte seit seinem zwölften Lebensjahr. Die vier Brüder und eine Schwester wohnen mit den Eltern im Dorf unterhalb des Klosters. Jamyang Babu ist Gyatsos Lehrer. Denn jeder Novize lebt am Anfang bei einem erfahrenen Mönch, lernt von ihm Regeln und Riten des Buddhismus. Dazu gibt es allgemeinen Unterricht in der Klosterschule. Es ist ein Leben, das sich allein nach den Traditionen des Glaubens richtet, nach den Zyklen der Wiedergeburt, erklärt Jamyang Babu. „Unser Ziel ist, wie Buddha zu werden“, sagt Gyatso. „Ob wir ein glückliches Leben führen, hängt nur von uns ab.“ Im Kern gehe es um Liebe, Mitgefühl und Toleranz. „Es ist völlig egal, welchen Glauben man hat“, sagt Gyatso. Wer sich nicht an die Gebote hält, könne dennoch als Tier wiedergeboren werden. Denn alles hänge miteinander zusammen. Das sei Chakra, das Rad des Lebens. Diese fremde Welt beeindruckt nicht nur die Schüler. „Es ist schön, so etwas einmal von Menschen zu hören, die das leben“, sagt Religionslehrerin Karin Engelmann. „Sonst kennt man das ja nur aus Büchern.“

Die Faszination beruht auf Gegenseitigkeit. Während ein gemeinsames Mittagessen nach ladakhischer Tradition vorbereitet wird, erkundigen sich die Mönche nach dem hiesigen Bildungssystem, loben die Ausstattung der Schulen. Ein krasser Gegensatz zu ihrer Heimat. Denn in staatlichen Schulen dort ist oft ein einziger Lehrer für mehrere Klassen verantwortlich. Klosterschüler seien besser dran oder Kinder von reichen Leuten, die sich Privatunterricht leisten können. Es ist anders, hier in diesem Land, das so viel entwickelter ist als die Heimat, sinniert Stanzin Gyatso. Er bezeichnet sich selbst als modernen Mönch, hat im Unterschied zu seinen Klosterbrüdern ein Smartphone und surft regelmäßig im Internet.

Auf seiner Facebook-Seite erzählen Fotos die Geschichte der drei Lamas in Sachsen: Bilder von Begegnungen in Schulen, Kitas, Seniorenheimen, vor Touristenattraktionen und beim spontan anberaumten Rundflug in einem Kleinflugzeug über das Elbland. Die Fotos zeigen viel Neugier auf das Unbekannte. Den jungen Mönch treibt der Spagat zwischen Moderne, Tradition und Glauben um. „Heute benutzen die Menschen so viel hoch entwickelte Technologie, egal ob in Ladakh oder hier“, sagt er. „Aber wird man dadurch glücklicher, oder kontrolliert dein Smartphone am Ende dich und nicht umgekehrt?“ Religion müsse offen für die Moderne sein, auch die Mönche in Thiksey würden heute Computer nutzen, um das Kloster zu verwalten oder mit anderen zu kommunizieren. Die Technik könne aber das Spirituelle, die Selbstvergewisserung und das Streben nach dem richtigen Lebensweg nicht ersetzen. Gyatso spricht ohne klerikalen Eifer.

Längst ist das Eis zwischen Mönchen und Schülern gebrochen. Da wird miteinander geredet und gelacht, als seien drei Lamas in der Schule etwas Alltägliches. Sogar zum spontanen Fußballspiel laufen die beiden jüngeren Buddhisten in ihren Kutten auf. Jamyang Babu schaut zu. „Dass sie so offen und locker sind, hätte ich nie gedacht“, meint Schulleiterin Doris Alfert.

Eine ähnliche Erfahrung hat Sven Perskis Freund Jens Berthelmann aus Hirschstein bei Riesa gemacht. Seine Familie beherbergt die asiatischen Gäste. Die Kinder helfen beim Übersetzen. Berthelmann verständigt sich mit Händen und Füßen. Das funktioniere erstaunlich gut, sagt er. Inzwischen ist das Buddhisten-Trio vollständig integriert. „Als sie kamen, waren es Fremde, weil wir nicht wussten, wie sie sind“, erinnert er sich. „Jetzt ist meine Familie größer geworden. Wenn sie da sind, essen wir immer alle gemeinsam.“ Die Mönche haben ihn zum Gegenbesuch ins Kloster Thiksey eingeladen. Doch vorher muss die Ausbildung seiner Kinder finanziert sein.

Dresden, Programmkino Ost. Einige Senioren, Mittvierziger, der Saal ist bis auf den letzten Platz besetzt. Auf der Leinwand laufen Fotos und Videos aus Ladakh, sie zeigen das Kloster, Berge und Menschen der Hochgebirgsregion. Sven Perski hat seine übliche Diashow umgearbeitet. Seine Gäste sollen im Mittelpunkt stehen, ihre traditionellen Gesänge und Lebensweisen. Die Kurzreise in die geheimnisvolle Welt der Menschen des Himalaya erhält viel Applaus.

Wenn der Aufenthalt der Lamas in Sachsen heute endet, werden sie viele Menschen mit ihrer Botschaft des Friedens erreicht haben – ohne Dogmen oder erhobenen Zeigefinger, allein mit warmherziger Präsenz. Was aber hat diese Reise mit ihnen gemacht? Was bleibt davon für sie selbst, neben der Freundlichkeit der Menschen, den Eindrücken von einer bislang unbekannten Welt? Jamyang Babu muss kurz nachdenken. „Eure Altersheime sind gut“, sagt der 72-Jährige. So etwas habe er noch nie gesehen. „Die Menschen leben zusammen und können sich austauschen, statt allein in irgendeiner Wohnung zu sitzen.“

Manches stößt auch auf Verwunderung. Der 37-jährige Chamba Phontsok hat von der hiesigen Scheidungsrate gehört. Ein Phänomen, das in den Großfamilien von Ladakh nahezu unbekannt ist. „Trennung finde ich nicht gut, weil mit der Heirat eine Verpflichtung eingegangen wird.“ Eine lebenslange, so wie sich die Mönche gegenüber Buddha verpflichten. Stanzin Gyatso wird vor allem die Begegnungen mit Kindern und Jugendlichen in Erinnerung behalten. Auf seinem Smartphone wird er den Klosterbrüdern Fotos zeigen. Er wird versuchen, eine andere Welt zu erklären, die sich für die drei Lamas jetzt nicht mehr ganz so fremd anfühlt.
Text: Tobias Wolf
Foto: Thomas Kretschel

Sächsische Zeitung vom 15.04.2014

Cavertitzer Grundschüler treffen drei Lamas und haben jede Menge Fragen

Die Neugier in der Aula der Cavertitzer Grundschule war gestern beinahe mit Händen zu greifen: Die Erst- bis Viertklässler hatten drei buddhistische Mönche (auch Lamas) aus dem tibetischen Hochland zu Gast. Klar, dass es viele Fragen an die exotischen Gäste gab. Und die Besucher aus dem Kloster warteten geduldig lächelnd, bis auch der Letzte an der Reihe war.

"Das ist alles aufregend, das werden die Kinder nicht so schnell vergessen", war sich Schulleiterin Ilona Berscheit sicher. Zunächst sei man unsicher gewesen, wie der Tag gestaltet werden sollte, räumte sie ein. "Aber Thomas Barth hat uns ganz toll bei den Vorbereitungen unterstützt", sagte sie. Der Inhaber der Agentur Landleben in Cavertitz hat gemeinsam mit dem Riesaer Sven Perski die Mönche nach Deutschland geholt (wir berichteten) und Begegnungstage in Schulen, Einrichtungen und bei Vorträgen organisiert.

Von der Neugier der Grundschüler war auch er angetan. "Es ist herrlich. Die Kinder haben keine Scheu, stellen sich ganz freundlich vor und wollen wirklich alles wissen", beschrieb er. So wie Julian. Der Viertklässler machte den Auftakt zur Fragerunde: "Wie wird ein Junge zu einem Mönch?" Darauf antwortete Stanzin Gyatso: "Entweder die Eltern schicken ihren Sohn ins Kloster, das passiert oft schon im Alter von zwei oder drei Jahren. Oder ein Junge entscheidet sich selbst, künftig im Kloster zu leben - dann sind sie etwa zwölf oder dreizehn Jahre alt." Die Grundschüler wollten auch wissen, welche Unterrichtsfächer es in der Grundschule im nordindischen Ladakh - dort ist auch das Kloster der Mönche - gibt, wie oft die Jungs ihre Familien treffen können. Die Antworten: Neben Buddhismus wird ganz normal auch Mathematik, Biologie oder die Arbeit am Computer vermittelt. Und wenn die Eltern im Dorf leben, werden sie von ihren Söhnen immer sonntags besucht. Wer weiter weg wohnt, hat aber seltener Kontakt. Interessant für die Mädchen und Jungen waren allerdings auch die ganz einfachen Fragen nach dem Essen im Kloster oder Tieren in der Region.

Auf ihren Begegnungstag hatten sich die Grundschüler gut vorbereitet: "Wir haben zweimal einen Kuchenbasar organisiert und dabei 200 Euro eingenommen, die wir heute überreichen", kündigte Schulleiterin Ilona Berscheit an. Damit soll das Projekt unterstützt werden. Ebenso wie mit zahlreichen Winterschuhen, die die Kinder gesammelt haben. Diese wird Sven Perski demnächst in den Himalaya bringen. Der Riesaer, der die Region schon mehrfach bereist hat, weiß, dass die oft sechs Monate dauernden Winter im Hochland eisig werden können. Darunter leiden gerade Kinder mit kaputten und wenig passenden Schuhen. "Die Schuhe, die ihr gesammelt habt, gehen dann zu Kindern ins Kloster, werden an der Schule oder in Nomaden-Familien verteilt", erklärte er in Cavertitz. Damit haben die Erst- bis Viertklässler geholfen, den nächsten Winter für ihre Altersgenossen in Ladakh erträglicher zu machen.

Ach so: Alle im Kloster essen vegetarisch, es gibt oft Reis mit Gemüse oder Tsampa, ein Gericht aus Gerstenmehl, Buttermilch und Zucker. Und neben ganz normalen Haustieren wie Kühen oder Schafen gibt es im tibetischen Hochland sogar Schneeleoparden.

www.svenperski.com
www.agentur-landleben.de

Besuch komplett mit Spenden finanziert

Der Riesaer Sven Perski war bereits mehrfach zu Gast bei der Dia-Reihe „Landleben weltweit“ und hat dort von seinen Reisen nach Indien und in den Himalaya berichtet. Sven Perski und Thomas Barth setzten gemeinsam die Idee um, Mönche aus dem Kloster Thiksay, im nordindischen Ladakh, nach Sachsen einzuladen und ihnen hier Land und Leute zu zeigen. Rund 7000 Euro mussten beide mit Hilfe von Spenden dafür aufbringen. „Das ganze Projekt wird ohne öffentliche Gelder finanziert. Wir sind deshalb sehr dankbar, dass uns viele Privatpersonen, aber auch Schulen oder andere Einrichtungen mit Spenden unterstützt haben“, sagte Thomas Barth. Daneben galt es, bürokratische Hürden zu meistern, um die Visa für die drei Lamas zu erhalten. Noch bis zum Sonntag sind Barth und Perski mit ihren Gästen aus Nordindien unterwegs, am Dienstag beginnt für die Mönche am Flughafen München die Rückreise.
Jana Brechlin

Oschatzer Allgemeine Zeitung vom 09.04.2014